Leichte Sprache in Prüfungen: Bessere Beteiligung an der beruflichen Bildung
Gespräch mit Alea Stephan aus dem Braunschweiger Büro für Leichte Sprache (Lebenshilfe Braunschweig)
Warum sollten Prüfer*innen sich mit Leichter Sprache auseinandersetzen?
Menschen sind unterschiedlich und weisen demnach auch unterschiedliche Handicaps auf. Leichte Sprache ist ein erster Schritt, bestimmten Gruppen in unserer vielfältigen Gesellschaft kommunikativ entgegenzukommen und eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Barrierefreiheit ist wichtig, denn sie ermöglicht auch benachteiligten Menschen Partizipation, ohne dass diese auf die Hilfe anderer angewiesen sind.
Ganz allgemein dient Leichte Sprache einer gelungenen Kommunikation. Bezogen auf das Prüfungswesen kann Leichte Sprache dazu beitragen, die Chancen von Menschen mit Beeinträchtigungen auf einen Berufsabschluss zu erhöhen und damit ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Was verbirgt sich hinter dem Konzept Leichte Sprache?
Grundsätzlich bedeutet Leichte Sprache, dass einfache Wörter eingesetzt, kurze Sätze formuliert und Nebensätze vermieden werden. Es wird also nicht die Aussage oder der Sinngehalt eines Textes verändert, sondern nur die Ausdrucksweise bzw. die sprachliche Ebene angepasst.
Worin unterscheidet sich Leichte Sprache von anderen Konzepten, z. B. einfacher Sprache?
Es gibt in der Tat unterschiedliche Konzepte, wie man Menschen mit Benachteiligungen erreichen kann. Im Unterschied zur einfachen Sprache beruht die Leichte Sprache auf einem formalen Regelwerk, das wissenschaftlich fundiert ist. Dies gibt es bei der einfachen Sprache (noch) nicht. Die Vielzahl von Empfehlungen für einfache Sprache sind noch nicht systematisch aufeinander bezogen.
Beide Konzepte unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Schwierigkeitsstufen von Texten bzw. der dort verwendeten Sprache. Wenn man sich Wissenschaftssprache und Leichte Sprache als Extrempunkte innerhalb eines Spektrums vorstellt, dann liegt einfache Sprache zwischen beiden – jedoch nicht in der Mitte, sondern näher an der Leichten Sprache. Man könnte also auch sagen, dass die einfache Sprache die komplexere große Schwester der Leichten Sprache ist.
Beide Konzepte haben ihre Berechtigung. Welche Form jeweils sinnvoll anzuwenden ist, hängt von der jeweiligen Situation ab: In welchem Maße ist es in einem bestimmten Kontext notwendig, die Kommunikation zu vereinfachen?
Wer profitiert von Leichter Sprache, für wen wurde sie entwickelt?
Ursprünglich wurde Leichte Sprache in Deutschland für und von Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt. Das ist auch immer noch eine der vorrangigen Zielgruppen. Aber es gibt auch noch weitere Gruppen, für die Leichte Sprache relevant sein kann. Hierzu zählen z. B. auch Menschen mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache, denn Leichte Sprache kann hier einen Einstieg in das Verständnis und damit auch in den Erwerb der deutschen Sprache bieten.
Leichte Sprache kann aber auch bei Sehbeeinträchtigungen und Demenzerkrankungen hilfreich sein und damit die Beteiligung von mehr Menschen in der Gesellschaft ermöglichen.
Wir haben in Deutschland einen großen Anteil funktionaler Analphabeten. Die Leo-Studie[1] weist 12 % der erwachsenen Bevölkerung als funktionale Analphabeten aus, also Menschen mit eingeschränkten Lese- und Schreibkompetenzen. Leichte Sprache kann hier als Instrument dienen, um diesen Teil der Bevölkerung besser an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.
Leichte Sprache kann darüber hinaus auch ein Instrument sein, das die Lese- und Schreibkompetenzen von Menschen perspektivisch verbessert. Es wird ein Einstieg in die Beschäftigung mit der Sprache geboten und Ängste, sich mit der Sprache auseinanderzusetzen, können abgebaut werden.
Leichte Sprache kann aber auch für alle Menschen – auch die ohne Beeinträchtigung – interessant sein, um zum Beispiel Fachthemen anzugehen. Bei einer Steuererklärung würde Leichte Sprache sicherlich für viele Menschen eine Hilfe darstellen.
Bezogen auf Prüfungen in der Berufsbildung muss es darum gehen, Menschen, die über praktische Fähigkeiten für die Ausübung eines Berufes verfügen – aber nicht über die sprachliche Kompetenz –, einen Abschluss zu ermöglichen.
Wie kann man sich als Prüfer*in dem Thema nähern, um es in Prüfungen anzuwenden?
Grundvoraussetzung ist, dass Menschen aufgeschlossen sind, Neues auszuprobieren. Wenn diese Bereitschaft vorhanden ist, gibt es an verschiedenen Stellen erste Informationen. Hilfreich sind z. B. die Webseiten vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. und der Forschungsstelle Leichte Sprache (Uni Hildesheim). Gern können Interessierte auch mich kontaktieren: alea.stephan@lebenshilfe-braunschweig.de
Um sich dann konkret dem Thema zu nähern, gibt es unterschiedlichste Formate, um den Umgang mit Leichter Sprache zu erproben. Bei unseren Workshops bieten wir z. B. auch an, mit eigenen Texten das Prinzip der Leichten Sprache auszuprobieren.
Beim Einsatz von Leichter Sprache sollten Prüfer*innen aber bedenken, dass auch die zu Prüfenden vorher darüber informiert werden müssen. Die zu Prüfenden bereiten sich schließlich auf die Prüfung anhand ihres Materials vor. Wenn sie jetzt neue, wenn auch leichter formulierte Texte bekommen, kann dies zu Verwirrungen führen, die sich negativ auf die Prüfung auswirken. Der Einsatz Leichter Sprache in schriftlichen Prüfungen ist daher gezielt vorzubereiten.
Natürlich kommt man in Prüfungen nicht um Fachwörter herum, deren Inhalte den zu Prüfenden bekannt sein müssen. Prüfer*innen sind aber gut beraten, auch zu akzeptieren, wenn einem zu Prüfenden einzelne, spezifische Begriffe nicht einfallen, der Sachverhalt ansonsten aber gut und zutreffend beschrieben wird.
[1] Neue LEO-Studie zu eingeschränkten Lese- und Schreibkompetenzen : Newsroom : Universität Hamburg (uni-hamburg.de)
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