Chancen, Risiken und Nebenwirkungen digitaler Prüfungen in der dualen Berufsausbildung
Interview mit Sandra Zipter, Referatsleiterin Prüfungswesen und Berufsbildungsausschüsse in der Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)
Digitale Prüfungen werden kontrovers diskutiert. Aus diesem Grund wurde vom BIBB-Hauptausschuss eine Arbeitsgruppe zum Thema „Digitale Prüfungen/Antwort-Wahl-Aufgaben“ eingerichtet. Ziel war es, die Musterprüfungsordnungen so anzupassen, dass es eine Rechtssicherheit bezüglich digitaler Prüfungen und Antwort-Wahl-Aufgaben gibt. Auch wenn die neuen Musterprüfungsordnungen verabschiedet wurden, bleiben wir am Thema dran und wollen mit verschiedenen Akteur*innen zum Thema „digitale Prüfungen“ ins Gespräch kommen. Den zweiten Teil dieser Serie stellt ein Interview mit Sandra Zipter dar, die auf Seite der Arbeitnehmer*innen für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zum Thema digitale Prüfungen arbeitet.
Der Begriff digitale Prüfungen wird sehr unterschiedlich verwendet. Was verstehst du unter digitalen Prüfungen?
In der Tat – der Begriff wird sehr unterschiedlich verwandt. Hinsichtlich der Endgeräte kann es vom Einsatz eines Laptops bis zur VR-Brille reichen.
Wenn wir von digitalen Prüfungen sprechen, ist mir wichtig, dass wir die ganze Prozesskette im Blick behalten. Das meint, dass wir nicht nur die unmittelbare Prüfung, sondern die Prozessschritte von Anfang an im Blick behalten: Prüferbenennung, Anmeldung zur Prüfung, Aufgabenerstellung, Prüfungsdurchführung, Bewertung von Prüfungen, Zeugnisvergabe und schließlich die Abrechnung der Aufwandsentschädigung. Digitale Prüfungen zu Ende gedacht würde digitale Instrumente auf allen Ebenen bedeuten.
Für einzelne Prozessschritte gibt es schon digitale Elemente, dies unterscheidet sich allerdings von Kammer zu Kammer. Den kompletten Prozess zu digitalisieren, dauert wohl noch einige Jahre – wenn es denn wünschenswert ist. Schließlich sollte man bedenken, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch sinnvoll ist.
Wir haben mit der Hauptausschuss AG des Bundesinstituts für Berufsbildung „Digitales Prüfen/Antwortwahlaufgaben“ einen ersten Schritt unternommen und den Rahmen für rechtssichere digitale Prüfungen abgesteckt. Weitere Schritte müssen sinnvollerweise folgen.
Welche Risiken und möglicherweise auch Probleme können aus deiner Sicht mit digitalen Prüfungen verbunden sein?
Grundvoraussetzung ist eine funktionierende Struktur. Es braucht Endgeräte und eine sichere Datenübertragung. Es braucht auch bei digital durchgeführten Prüfungen sachkundige Personen, die für Fragen zur Verfügung stehen.
Wichtig für den funktionierenden Prozess ist, dass sichergestellt ist, dass Daten im Nachhinein, d. h. nach Durchführung der Prüfung und auch nach der Bewertung, durch die Prüfenden nicht mehr geändert werden können.
Unabhängig von der verwendeten Technik muss bei Prüfungen sichergestellt werden, dass geprüft wird, ob berufliche Handlungskompetenz in der Berufsausbildung erworben wurde. Durch Antwort-Wahl-Aufgaben kann dieser Anspruch nach aktuellem Stand kaum erfüllt werden. Damit schriftliche Prüfungen digital durchgeführt werden können, müssen erst noch hochwertige Prüfungsformate entwickelt werden. Entsprechend ist dann auch die Hauptausschussempfehlung 71 des BiBB zu überarbeiten.
Siehst du auch positive Effekte, die mit digitalen Prüfungen verbunden sein könnten?
Digitale Prüfungen können in den Prozessschritten rund um die eigentliche Prüfung das Ehrenamt entlasten und zur Qualitätssicherung beitragen. Zur Entlastung kann zum Beispiel beitragen, wenn die Abrechnung digital erfolgt. Zur Qualitätssicherung könnten digitale Prüfungskataloge beitragen, wenn für Prüfer*innen Bewertungskataloge hinterlegt werden.
Schließlich könnte die digitale Durchführung von Prüfungen auch zu einer Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere bei der Bewertung der Prüfungsleistung, führen. Indem die Bewertung parallel durch Prüfer*innen erfolgt und nicht hintereinander, sind tatsächlich positive Wirkungen im Hinblick auf die Bewertung denkbar.
Sind digitale Prüfungen ein geeignetes Mittel, um Probleme im Prüfungswesen, wie z. B. die ausreichende Benennung von Prüfer*innen, zu lösen oder braucht es eventuell noch andere Instrumente?
Es gibt tatsächlich bereits gute digitale Tools von einzelnen Kammern, welche die Prüferbenennung erleichtern. Dies in die Breite zu tragen, kann die Benennung sicherlich vereinfachen und zur Umsetzung der geforderten Transparenz der Benennung beitragen. Dies würde die Arbeit der für die Benennung Zuständigen beim DGB und den Gewerkschaften erleichtern, wenn der Bedarf an Prüfer*innen differenzierter sichtbar wäre
Neben digitalen Veränderungen sind es aber Veränderungen in den Einstellungen der Betriebe, die es braucht, um das Prüferehrenamt zu stärken. Mit dem Freistellungsanspruch für Prüfer*innen im BBiG seit der letzten Novellierung ist der richtige Weg beschritten. Es braucht aber in der Praxis mehr Wertschätzung in den Betrieben.
Wir wissen alle: Engagierte Prüfer*innen sind immer auf dem aktuellen Wissensstand, bekommen einen guten Einblick in die Qualität der Ausbildungen und repräsentieren ihren Betrieb nach außen. Prüfer*innen sind gleichzeitig auch Ausbilder*innen, können ihre eigenen Azubis bestmöglich auf die Abschlussprüfungen vorbereiten und so zu einem erfolgreichen Prüfungsergebnis beitragen. Eigentlich alles gute Gründe, um Kolleg*innen für dieses Ehrenamt freizustellen.
Schließlich möchte ich auf die gewerkschaftlichen Prüf mit!-Projekte der IG Metall, der IG BCE und der ver.di verweisen, ohne die die Herausforderungen im Prüfungswesen aus gewerkschaftlicher Sicht nicht zu meistern sind.