Digitale Prüfungen im Handwerk – ist das die Zukunft?
Interview mit Daike Witt vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
Digitale Prüfungen werden kontrovers diskutiert. Aus diesem Grund wurde vom BIBB-Hauptausschuss eine Arbeitsgruppe zum Thema „Digitale Prüfungen/Antwort-Wahl-Aufgaben“ eingerichtet. Ziel war es, die Musterprüfungsordnungen so anzupassen, dass es eine Rechtssicherheit bezüglich digitaler Prüfungen und Antwort-Wahl-Aufgaben gibt. Auch wenn die neuen Musterprüfungsordnungen verabschiedet wurden, bleiben wir am Thema dran und wollen mit verschiedenen Akteur*innen zum Thema „digitale Prüfungen“ ins Gespräch kommen. Auftakt dieser Serie stellt ein Interview mit Daike Witt dar, die auf Seite der Arbeitgeber*innen für den Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) an der Arbeitsgruppe beteiligt war. Sobald die neuen Musterprüfungsordnungen veröffentlicht sind, werden wir gesondert informieren.
Wie wird das Thema digitale Prüfungen beim ZDH bearbeitet?
Digitale Prüfungen werden nicht von heute auf morgen und nicht zeitgleich in allen Handwerksberufen zum Einsatz kommen. Der Einsatz digitaler Prüfungen ist ein Prozess, der wachsen muss und nicht in allen Gewerken mit gleicher Geschwindigkeit verlaufen wird. Das Handwerk ist im Prüfungswesen nicht zentralistisch aufgestellt, sondern die einzelnen Fachverbände kümmern sich im Rahmen der Ordnungsarbeit auch um die Gestaltung der Prüfungen. Je nach Größe und Leistungsfähigkeit kümmern sich Handwerksverbände auch intensiv um die Unterstützung der Prüfungsausschüsse in ihrem Beruf (z. B. durch eine überregionale Prüfungsaufgabenerstellung). Natürlich tragen daneben auch die Handwerkskammern eine wichtige Verantwortung für die Durchführung der Prüfungen. Mit welcher Intensität die Digitalisierung der Prüfungen vorangetrieben wird, hängt maßgeblich von den Bedürfnissen des jeweiligen Handwerks und von der digitalstrategischen Ausrichtung der Handwerkskammer ab.
Der ZDH hat bereits im Jahr 2018 eine Grundsatzempfehlung für eine Modernisierung des Prüfungswesens ausgesprochen, in der insbesondere die Weiterentwicklung und Verbreitung der digitalen Durchführung von schriftlichen Prüfungen als zukunftsträchtig und wünschenswert hervorgehoben worden ist.
Der Begriff digitale Prüfungen ist etwas missverständlich. Er wird oft nur auf die eigentliche Prüfungsabnahme bezogen. Man muss aber berücksichtigen, dass die Durchführung von Prüfungen ein vielschichtiger Prozess ist und daher an verschiedenen Stellen Ansatzpunkte für digitale Veränderungen bestehen. Neben der unmittelbaren Prüfungsabnahme sind auch die vor- und nachgelagerten administrativen Prozesse, für die vor allem die Handwerkskammern und -innungen die Verantwortung tragen, in den Blick zu nehmen.
Vorgelagerte Prozesse wie z. B. Anmeldung und Zulassung zur Prüfungen oder Anträge auf Befreiungen oder Nachteilsausgleich müssen mit in den Blick genommen werden, wenn es darum geht, Digitalisierungsstrategien im Prüfungswesen umzusetzen. Dies ist ein Teil des sogenannten E-Governments, um das sich die Handwerksorganisationen als wirtschaftliche Selbstverwaltung im Staatswesen kümmern müssen. Es ist auch Auftrag des ZDH, die Organisation bei der Umstellung auf neue digitale Verwaltungsstrukturen zu unterstützen. Bei den Ausbildungsprüfungen läuft bei den Verwaltungsprozessen rund um das Prüfungswesen auch vieles über die Betriebe, welche die Auszubildenden z. B. zur Prüfung anmelden und die Prüfungskosten tragen. Bei Fortbildungsprüfungen muss dann eher an die zu Prüfenden und deren Erwartungen an eine bürgernahe und digitale Verwaltung gedacht werden.
Wir erwarten von einer Digitalisierung der vorgelagerten beschriebenen Prozesse mehr Transparenz über die Verfahren aber auch eine Angleichung der Verfahren und damit verbunden einer Qualitätssteigerung. Dies spart Ressourcen und wir gehen auch davon aus, dass wir Personal in diesem Bereich entlasten können. Das Prüfungswesen ist nicht nur im Hinblick auf ehrenamtliche Prüfer*innen personalintensiv. Die Kammern und Innungen beschäftigen auch viele Hauptamtliche in diesem Bereich.
Auch die Abschlussphase der Prüfungen bietet Potenziale für eine Digitalisierung: Das Ausstellen digitaler Zeugnisdokumente z.B. führt nicht nur zu einfacherer und schnellerer Bearbeitung, sondern das digitalen Dokumente bietet den Inhabern einen konkreten Nutzen, beispielsweise wenn es im späteren Erwerbsleben darum geht, kurzfristig und auf digitalem Weg vorhandene Qualifikationen auszuweisen.
Und wie sehen die Rolle des ZDH bei der eigentlichen Abnahme von Prüfungen?
Der ZDH sieht sich nicht in der Rolle, den Gewerken vorzuschreiben, in welcher Durchführungsform – also analog oder digital – Prüfungen abgenommen werden sollen. Das wird auch in den einzelnen Gewerken unterschiedlich ablaufen. Große Gewerke mit vielen Auszubildenden und entsprechend ressourcenintensiven Prüfungen werden sich sicherlich schneller auf den Weg der Digitalisierung machen, weil diese mittel- bis langfristig zur Effizienzsteigerung führen wird. Für kleine Nischengewerbe könnten digitale Prüfungen auch auf längere Sicht keine echte Alternative darstellen, weil der Entwicklungs- und Investitionsaufwand zum Implementierung recht hoch ist. Auch Gewerke, die eine größere inhaltliche Nähe zu digitalen Prozessen haben, werden sich vermutlich früher auf den Weg machen. Eine Affinität zum Thema sollte schon da sein!
Der ZDH ist sehr offen für das Thema, weil wir letztlich mehr Vor- als Nachteile in der Digitalisierung sehen und es auch darum geht, dass die Berufliche Bildung sich im Prüfungswesen methodisch zu stark nicht von anderen Bildungsbereichen, insbesondere von akademischen Prüfungen, entkoppelt. Der Prozess muss aber von unten nach oben, d.h. insbesondere aus den Gewerken, kommen. Alle Akteure, insbesondere die Prüferinnen und Prüfer sind zudem mitzunehmen. Die Diversität des Handwerks schafft glücklicherweise Raum für Experimente, die ich im aktuellen Stadium noch für sehr wichtig halte.
Das Handwerk hat bei der Digitalisierung aber auch schon etwas vorzuzeigen: Beispielsweise sind die digitale Prüfungsaufgaben im KFZ-Handwerk schon sehr weit entwickelt und Prüfungen werden vielerorts schon digital durchgeführt. Daneben gibt es einzelne Teile von Fortbildungsprüfungen, die digital durchgeführt werden können.
Wie sieht die Zukunft der Prüfungen im Handwerk aus?
Wir werden im Handwerk auch in Jahren vermutlich digitale und analoge Prüfungen parallel durchführen. Dies halte ich auch nicht für dramatisch, denn digitale Prüfungen sind nicht per se besser oder schlechter als analoge Prüfungen. Sie bergen aber durchaus Potentiale in qualitativer Hinsicht, die nicht zu unterschätzen sind. So können Aufgaben, die den Prüflingen in digitaler Form gestellt werden, noch praxisnäher und damit auch noch handlungsorientierter sein, indem beispielsweise Anwendungen wie 3-D-Anmiationen oder Filme eingebunden werden. Theoretische wäre dies natürlich auch im klassischen Schriftformat möglich, man müsste dann aber Medienwechsel für die Prüflinge in Kauf nehmen. In der umfassend digitalen Durchführungsform sehe ich deshalb durchaus prüfungsdidaktisches Potential.
Auch für praktische Prüfungen würde ich das Thema nicht grundsätzlich ausschließen. Denkbar sind z. B. digitale Simulationen von Arbeitsprozessen. Die Frage ist immer, wo passen digitale Prozesse und mit welchem Aufwand sind diese umsetzbar. Denn eine virtuelle Simulation muss hochaufwendig erstellt und passend programmiert werden, um in einer Prüfung zum Einsatz zu kommen. In vielen Handwerksberufen wird es dabeibleiben, dass es einfacher und sinnvoller ist, den realen Prozess (wie z. B. das Haareschneiden oder Brotbacken) durchzuführen als diesen zu simulieren.
Die Verbreitung der digitalen Durchführung von Prüfungen wird sich sicherlich auch dadurch beschleunigen, dass es nunmehr nach recht zähem Ringen gelungen ist, Empfehlungen des BIBB-Hauptausschusses für die Musterprüfungsordnungen zu verabschieden, die die digitale Durchführungsform auch in rechtlicher Hinsicht abbilden. Diesbezüglich bestand in der Vergangenheit eine recht hohe juristische Unsicherheit, die der Digitalisierung zum Teil noch im Wege stand.